Montag, 15. Februar 2010

Afghanistan

Erstellt am 13.09.09 @ 17:27:31 von Admin

Ausgabedatum: 13.09.09 @ 17:17:25

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Bundestagsdebatte zu Afghanistan


Am Donnerstag, den 3.September 2009 wurde auf Befehl eines deutschen Oberst ein vorher entführter Tanklastzug bombardiert. Hierbei starben auch Zivilisten.
Aus diesem Grund wurde eine Bundestagssitzung einberufen.
Hier einige Auszüge:
Laut eines Vorläufigen Protokolls der 233. Sitzung vom 08. September 2009 im Bundestag äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU):
>>Der Kampfeinsatz der Bundeswehr zusammen mit unseren Partnern im Nordatlantischen Bündnis in Afghanistan ist notwendig. Er trägt dazu bei, die internationale Sicherheit, den weltweiten Frieden und Leib und Leben der Menschen hier in Deutschland vor dem Übel des internationalen Terrorismus zu schützen. Das stand am Anfang dieses Einsatzes, und das gilt bis heute. Das ist unsere Überzeugung. Das fand und findet die Zustimmung der afghanischen Regierung, und wir wissen, wie viele einfache Afghanen uns immer wieder bitten, sie im Kampf gegen die Taliban nicht allein zu lassen.<<
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesminister des Auswärtigen sagte in seiner Rede: >>Niemand hier im Saal war so naiv, zu glauben, dass der Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan nur mit militärischen Mitteln zu gewinnen sei. Weit vor anderen haben wir gesagt, dass wir in Afghanistan nur dann miteinander Erfolg haben werden, wenn wir diesem in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschundenen Volk helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben immer gesagt - dabei bleibt es -: Wenn es notwendig ist, gegen terroristische Kräfte vorzugehen, dann müssen dabei zivile Opfer vermieden werden. Das war unsere Politik in allen Gremien der NATO.[...]Immer haben wir gesagt: Wir müssen diesem geschundenen Volk auf die Beine helfen. Und immer haben wir gesagt: Wir werden am Ende gemeinsam mit der afghanischen Regierung nur gewinnen, wenn wir die Herzen der Afghanen gewinnen. <<
Oskar Lafontaine (DIE LINKE) sagte in seiner Rede:
>>Ein klassisches Argument, das immer wieder ins Feld geführt wird, ist das Argument, ein deutscher Sonderweg sei zu vermeiden; die Bundeskanzlerin hat es ebenfalls wieder ins Feld geführt. Wäre dieses Argument zutreffend, meine Damen und Herren, dann hätten wir uns auch am Irakkrieg beteiligen müssen, dann wäre hier der deutsche Sonderweg im Hinblick auf unsere internationalen Interessen nicht gerechtfertigt gewesen.
Wäre das Argument des unzulässigen deutschen Sonderweges richtig, dann hätten die Kanadier völlig falsch entschieden, als sie jetzt schon ein Abzugsdatum festgesetzt haben. Warum haben wir nicht zumindest den Mut, uns so zu entscheiden wie die Kanadier?
Es ist interessant, dass Sie die zivile Komponente heute wieder betont haben. Das ist im Moment leider völlig unglaubwürdig; denn in den letzten Monaten ist das krasse Gegenteil geschehen: Es ist nicht die zivile Komponente gestärkt worden - das sollte man in einer solch tragischen Situation nicht beschwören -, sondern die militärische Komponente. Alles, was man hört, läuft darauf hinaus, dass die militärische Komponente weiter gestärkt werden soll. Man darf auch in einer solch schwierigen Situation über diesen Sachverhalt nicht hinwegtäuschen.
Nun komme ich zum entscheidenden Punkt. Die Behauptung, Sie bekämpften den internationalen Terrorismus, wird von denen widerlegt, die, wenn man so will, von der fachlichen Seite damit befasst sind. Es ist doch gut, dass dies der Kommandeur McChrystal zum ersten Mal in aller Klarheit festgestellt und Ihre Ausführungen hier krass widerlegt hat, ja, als - so möchte ich einmal sagen - nicht rational, als nicht vernünftig, als nicht nachvollziehbar dargestellt hat. Ich trage hier einmal vor, was dieser Kommandeur zu den Kampfeinsätzen, die Sie gerechtfertigt haben, vorgetragen hat. Er sagt, dass der Krieg in Afghanistan nicht mit konventionellem militärischem Denken gewonnen werden könne, das darauf abzielt, den Gegner zu bekämpfen. Aus konventioneller Sicht stelle sich die Tötung von zwei Aufständischen in einer Gruppe von zehn so dar, als seien nur noch acht Gegner übrig. In einem von Clans und Stämmen geprägten Umfeld wie Afghanistan sei es aber so, dass die zwei Getöteten viele Verwandte hätten, die nach solchen Vorfällen Rache schwörten. Im Fall von zivilen Opfern seien das sogar noch mehr als im Fall von getöteten Kämpfern. So laute die Rechnung: "10 minus 2 ergibt 20".



Das heißt, der verantwortliche Mann in Afghanistan sagt Ihnen hier, dass die Kampfeinsätze zu nichts anderem führen als dazu, dass mehr Kämpfer rekrutiert werden. Wie wollen Sie angesichts dieses Sachverhalts hier darstellen, Sie bekämpften den Terrorismus in Afghanistan?
Nichts anderes ist in den letzten Jahren passiert. Deshalb hat sich die Anzahl der Anschläge erhöht, deshalb ist das Land immer unsicherer geworden, deshalb haben wir dort - vielleicht in guter Absicht - mehr Unheil angerichtet, Jahr für Jahr: Immer mehr Menschen sind ums Leben gekommen, Soldaten und Zivilisten, Zivilisten und Soldaten. [...]
Am Schluss sage ich noch etwas zu dem häufig vorgebrachten Argument, es handele sich hier um einen Hilfseinsatz, um eine humanitäre Intervention. Alle internationalen Organisationen, die sich in der Hilfe engagieren, weisen immer auf folgenden Sachverhalt hin: Mit viel weniger Geld könnte man ungleich mehr Menschen vor dem Tod durch Hunger und vor dem Tod durch Krankheit bewahren, ohne dass man einen einzigen anderen Menschen töten müsste. - Das ist das moralische Dilemma, in dem Sie stecken. Deshalb bleiben wir bei der These: Krieg ist kein Mittel der Politik. Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab!<<
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte in seiner Rede das Vorgehen von Bundeskanzlerin Merkel und Aussenminister Jung:
<< [...]Überhaupt, liebe Frau Merkel, ist Ihr Umgehen mit Afghanistan eigentlich nur mit dem Wörtchen "verdruckst" zu beschreiben.
Trotz dieses schwersten Zwischenfalls, den es gegeben hat, mussten Sie von der Opposition zu dieser Regierungserklärung getrieben werden. Sie mussten vor Jahren von uns dazu getrieben werden, endlich einmal unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan zu besuchen. Ehrlich gesagt: Das ist beschämend. Eine offene Haltung hierzu wäre angemessen gewesen.
Das haben Sie heute nur mühsam versucht nachzuholen.
[...]Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann muss man zu dieser Verantwortung auch stehen. Wie man damit anders als Herr Jung umgeht, hat der Oberkommandierende von ISAF, Stanley McChrystal, bewiesen. Er hat sich so verhalten, wie wir es uns lange gewünscht haben: Nach dem Vorfall hat er sich an den Ort des Geschehens begeben. Er hat mit den Opfern gesprochen. Er hat sich entschuldigt. Er hat sich also gemäß den neuen Einsatzrichtlinien für solche Zwischenfälle verhalten, die lauten: "apologize", "compensate", "investigate" - entschuldigen, entschädigen und dann untersuchen. Das ist die richtige Reihenfolge, und die hätte ich mir auch von unserem Bundesverteidigungsminister gewünscht.

Wie sind Sie vorgegangen? Sie haben als Erstes die Unwahrheit gesagt. Sie haben behauptet, das Ganze habe sich in 40 Minuten abgespielt. Die Wahrheit ist: Es hat sechs Stunden gedauert. Es hat übrigens zwölf weitere Stunden gedauert, bis nach dem Bombardement Aufklärer vor Ort gewesen sind. Das ist das Ergebnis der Unterrichtung, die Sie uns heute in den Ausschüssen gegeben haben. Schließlich haben Sie gesagt, Sie seien sicher, es habe keine zivilen Opfer gegeben. Im Ergebnis geben Sie heute zu, dass eine solche Möglichkeit nicht auszuschließen ist. Ihr Grundsatz ist ein anderer als der, den die Amerikaner an dieser Stelle beherzigt haben. Ihr Grundsatz lautet offensichtlich: Vertuschen, leugnen und, wenn es gar nicht anders geht, sich für das entschuldigen, was man vorher bestritten hat.<<
Gert Winkelmeier (fraktionslos)sagte:
>>Die Aussage des Bundesministers der Verteidigung heißt seit 2005: Die Bundeswehr befindet sich in Afghanistan in einem Stabilisierungseinsatz, nicht aber in einem Krieg. Weder das ungläubige Kopfschütteln seiner Soldaten vor Ort noch die seit 2005 steigende Zahl der Gefallenen, Traumatisierten und körperlich Verwundeten, ganz zu schweigen von der ständig zunehmenden Zahl der Opfer in der afghanischen Zivilbevölkerung, haben an dieser Aussage etwas geändert. Es ist armselig, Herr Jung, dass Sie immer noch nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich unser Land in Afghanistan in einem Krieg befindet.
Vor Wochen diskutierten wir im Verteidigungsausschuss, dass nach Möglichkeit keine Luftunterstützung angefordert werden soll, weil dann sogenannte Kollateralschäden unvermeidlich sind. Nun gab es die Bombardierung der Tanklastzüge. Die Folge ist, dass viele zivile Opfer zu beklagen sind. Die Washington Post war scheinbar besser informiert als der deutsche Verteidigungsminister. Gemessen am ursprünglichen Auftrag der Bundeswehr, die Köpfe und Herzen der Afghanen zu gewinnen, ist der jetzige Zustand eine blanke Katastrophe.
Mit der Weigerung, die Kritik unserer Partner anzunehmen, blamieren Sie sich. Herr Minister, Sie betreiben reine Selbstverteidigung, weil Sie Angst haben, dass nun das eintritt, was Sie unter allen Umständen vermeiden wollten, nämlich dass der von zwei Dritteln der Deutschen abgelehnte Afghanistan-Einsatz zum Wahlkampfthema wird. Anstatt sich dem Thema offen zu stellen, vermitteln Sie der Öffentlichkeit ein Bild des Jammers, das Bild eines Realitätsverweigerers.
Es ist doch eine Schande, dass es eines derartig hohen Blutzolls bedarf, um in unserem Land über Krieg und Frieden und die Rolle der Bundeswehr zu debattieren.

Lassen sie mich etwas zu der Entscheidung des örtlichen deutschen Kommandeurs sagen: Tankwagen sind nicht geländefähig. Sie können nur auf befestigten Straßen gefahren werden. Das Lager Kunduz hätte also auf den befestigten Zugangsstraßen mit ganz einfachen Mitteln gegen die vermeintliche Gefahr geschützt werden können. 2 000 Meter vor dem Lager postiert, hätten ein Schützenpanzer oder ein paar Maschinengewehre gereicht, um die Umwidmung dieser Lastwagen in Angriffswaffen zu unterbinden.
Zudem standen diese Lastwagen ständig unter Luftbeobachtung.



Ich sage aber auch: Für diese schlechte Leistung ist als letztes Glied in der Kette nicht allein dieser Kommandeur haftbar. Nein, und das muss in aller Klarheit gesagt werden: Die Hauptverantwortung tragen diejenigen, die im Deutschen Bundestag immer der Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt haben. Das ist die Wahrheit.

Jeder in unserem Land kann auf der Webseite des Bundestages die namentlichen Abstimmungen aufrufen und nachlesen, wer zugestimmt hat.



Auch das sage ich Ihnen: Dieser Vorfall ist nicht die letzte Stufe der Eskalation der Gewalt. Das ist eine neue Qualität. Ich bin sicher, dass sich der nächste Bundestag mit diesen Gewalttaten noch öfter auseinandersetzen muss. Wenn nicht endlich umgedacht wird, gerät Deutschland immer tiefer in den Sumpf eines nicht gewinnbaren Krieges. Ziehen Sie die Bundeswehr so schnell wie möglich aus Afghanistan ab! Das wäre die Lösung. <<

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