Donnerstag, 6. Mai 2010

Wo das “deutsche Job-Wunder” herkommt

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat für April einen starken Rückgang der Arbeitslosenzahl verkündet. Die BA verzeichnete 3,406 Millionen Arbeitslose und damit 162.000 weniger als im März. Die Arbeitslosenquote ging von 8,5 auf 8,1 Prozent zurück. Damit wurden 178.000 Erwerbslose weniger gezählt als ein Jahr zuvor. Die Reaktionen auf diese Zahlen unterscheiden sich jedoch deutlich: Die einen sprechen von einer “Sensation”, andere warnen vor verfrühtem Optimismus.
Quelle: FR Anmerkung unseres Lesers G.K.: Die Medienberichterstattung ebenso wie die Kommentare der Wirtschafts-”Experten” vor allem aus dem Bankensektor zu den April-Arbeitsmarkdaten sind über weite Strecken geprägt von unkritischen Jubelmeldungen. “Das deutsche Job-Wunder setzt sich fort”, sagte Postbank-Experte Heinrich Bayer. Und Lothar Hessler von von HSBC Trinkaus: “Damit stehen die Chancen gut, dass wir in diesem Jahr im Schnitt weniger Arbeitslose haben werden als im Krisenjahr 2009″. BA-Chef Weise warnt jedoch vor zu optimistischen Erwartungen. Die wirtschaftliche Lage bleibe unsicher – viele Staaten kämpften mit sehr hohen Verschuldungen und auch die Banken seien noch nicht über den Berg. Und man möchte hinzufügen: Auch die von Deutschland mitverschuldeten aussenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone bergen ein erhebliches Risikopotenzial für die künftige wirtschaftliche Entwicklung.
Schaut man etwas genauer hinter die Kulissen der Arbeitslosenstatistik, dann wird deutlich, daß das nach aussen aufgehübschte Zahlenwerk deutliche Schatten aufweist:
  • Im Jahre 2010 enthalten die April-Arbeitslosenzahlen nicht jene Arbeitslosen, welche von privaten Arbeitsvermittlern betreut werden. Hierdurch wird die Arbeitslosigkeit gegenüber dem April 2009 statistisch um ca. 200.000 Personen geschönt. Die um diesen Statistikeffekt bereinigten Arbeitslosenzahlen sind somit gegenüber dem April 2009 um 38.000 Personen angestiegen (statt dem offiziell ausgewiesenen Rückgang um 162.000 Personen).
  • Die Bundesagentur für Arbeit weist darauf hin, daß der im Vergleich zum Vorjahresmonat April zu verzeichnende stärkere Rückgang der Arbeitslosigkeit durch einen saisonalen Sondereffekt mit beeinflusst wurde: “Der starke Rückgang dürfte zum Teil auch damit zusammenhängen, dass anders als vor einem Jahr die Osterferien vor dem Zähltag endeten. Dauerhafte Einstellungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse werden oft bis nach den Ferien aufgeschoben.”
  • Die Zahl der Arbeitslosengeldempfänger hat im Vorjahresvergleich zugenommen. Im April erhielten 6.048.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen nach dem SGB III oder Leistungen zur Sicherung des ebensunterhalts nach dem SGB II. Das waren 78.000 mehr als vor einem Jahr. Hierin enthalten sind auch jene prekären “Arbeitsplätze” aus dem Niedriglohnsektor, deren Entlohnung so niedrig ist, daß diese durch Arbeitslosengeld 2 augestockt werden muß.
  • Die Zahl der offenen Stellen liegt bei 517.000 gemeldeten Stellen, das sind lediglich 22.000 mehr als im stark krisengeprägten Vorjahres-April.
  • Auch die Qualität der Arbeitsplätze hat sich im Vorjahresvergleich erneut verschlechtert: Vollzeitjobs wurden verstärkt in Teilzeitjobs (zumeist 400-€-Jobs) umgewandelt. So ging die Zahl der Vollzeitjobs in den letzten zwölf Monaten um 300.000 Personen zurück, die der Teilzeit-Stellen legte um 200.000 Personen zu.
  • Deutliche Beschäftigungsverluste gibt es zudem in der Industrie (minus 255.000 oder 3,9 Prozent), im Handel und im Verkehr. Aufgestockt haben ihre Belegschaft vor allem die Dienstleister, hier wohl insbesondere die schlecht entlohnenden Leiharbeitsfirmen. In Verbindung mit der zunehmenden Umwandlung von Vollzeitjobs in Teilzeitjobs (v.a. auf 400-€-Basis) bedeutet dies eine wachsende Prekarisierung der Arbeitsplätze. Deutschland weist europaweit mittlerweile den höchsten prozentualen Anteil der im Niedriglohnsektor beschäftigten Arbeitnehmer aus.
  • In vorsichtig formulierender Sprache weist die BA für Arbeit darüber hinaus auf folgende Faktoren hin, die beim Gerede vom “Job-Wunder” schnell aus den Augen verloren werden: “Dennoch macht sich die allgemeine Wirtschaftskrise weiter am Arbeitsmarkt bemerkbar, denn die Unterbeschäftigung liegt praktisch auf dem Vorjahresniveau. Insgesamt sind die Auswirkungen der Krise weiterhin moderat, vor allem, weil Kurzarbeit und andere betriebliche Vereinbarungen den Arbeitsmarkt entlastet haben.”
  • Die Bundesagentur für Arbeit teilt mit, daß die Arbeitslosigkeit allein im Jahre 2010 aus demografischen Gründen (Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials) um 147.000 Personen unter dem Vorjahreswert liegt. Diese Reduktion tritt ein, ohne daß Politik oder Wirtschaft auch nur einen einzigen Finger rühren müssen. Die Arbeitsmärkte Frankreichs oder Skandinaviens profitieren nicht von diesem Demografie-Effekt. Dieser Effekt, die immer noch hohe, aus der Kurzarbeit resultierende verdeckte Arbeitslosigkeit, die zunehmende Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze (und die damit verbundene Ausweitung des Niedriglohnsektors), das statistische Weglassen der von privaten Arbeitsvermittlern betreuten Arbeitslosen sowie die Aufhübschung der Beschäftigungs- und Arbeitslosendaten durch die Aufteilung von Vollzeitstellen in Teilzeitstellen sind in Rechnung zu stellen, wenn unsere Medien über die im Vergleich zu anderen Staaten angeblich deutlich bessere hiesige Arbeitsmarktsituation fabulieren. 
Anmerkung Orlando Pascheit: Die Zahl der Vollzeitstellen hat gegenüber dem Vorjahr um 270000 abgenommen. Die Zahl der Alg II -Bezieher hat zugelegt. Den Rest kann sich jeder denken.
  • Verdeckter Wandel
    Ja, muss man also zugeben: Es gibt Arbeit. Die Frage ist, welche und zu welchen Bedingungen. Diese Perspektive ist kein Luxus, wenn viele befristet Beschäftigte heute nicht mehr vom Kündigungsschutz profitieren, wenn das Gehalt für eine private Altersvorsorge und manche Gesundheitsleistungen nicht ausreicht und übrigens auch ein Mindestlohn nicht dazu führt, dass man am Ende des Arbeitslebens eine Rente hat, die höher ist als Hartz IV. Die Aufgabe wird also sein, die Maßstäbe für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik zu erweitern, über die Arbeitslosenzahlen hinaus.
    Quelle: taz
  • Deutlich mehr Hartz-IV-Bezieher
    Die Zahl der Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach den Hartz-IV-Gesetzen ist auf den höchsten Stand seit August 2008 gestiegen. Wie der Deutsche Landkreistag am Donnerstag weiter mitteilte, erhielten im April nach vorläufigen Daten rund 6,7 Millionen Menschen derartige Leistungen. Das waren 1,1 Prozent mehr als im Vormonat und 2,2 Prozent mehr als im selben Monat des Vorjahres. Binnen Jahresfrist nahm die Anzahl der betroffenen Kinder unter 15 Jahren um 2,1 Prozent auf rund 1,7 Millionen zu. Die höchsten Zuwächse gab es in westdeutschen Flächenländern (plus vier Prozent).
    Quelle: junge Welt
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Quelle: Nachdenkseiten

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